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Carl Lutz

Biographie

Carl Lutz in Budapest

Palästinaauswanderung

Der Schweizer Kollektivpaß

Erweiterung der Hilfe nach dem Pfeilkreuzlerputsch

Kein Dank aus der Schweiz für Carl Lutz

 

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Biographie

Die wohl wichtigste Person neben Raoul Wallenberg in der Rettungstätigkeit für ungarische Juden war der Schweizer Carl Lutz.

Carl Lutz, geboren am 30.3.1895 in Walzenhausen (Kanton Appenzell), entstammte einem einfachen Elternhaus. Nachdem er eine kaufmännische Lehre in St. Magarethen abgeschlossen hatte, verbrachte er viele Jahre in Amerika. 1920 wurde er Mitarbeiter an der Schweizer Gesandtschaft in Washington. Es folgten Versetzungen nach Philadelphia und St. Louis, bevor er 1935 nach Palästina kam. Dort vertrat er unter anderem auch deutsche Interessen. Dieses war ihm später in Budapest von Nutzen. 1940 kehrte Lutz in die Schweiz zurück.

 

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Carl Lutz in Budapest

Nach einer kurzen Tätigkeit in Berlin wurde Vizekonsul Lutz am 2.1.1942 Leiter der Schutzmachtabteilung an der schweizerischen Gesandtschaft in Budapest. Dort vertrat er für die Schweiz die Interessen von zunächst zehn Ländern. Es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit Moshe Krausz, dem Vertreter der Jewish Agency. Gemeinsam bemühten sie sich um die Auswanderung von Juden nach Palästina.

Carl Lutz wurde von den Schweizer Anweisungen sehr eingeengt. So bekam er keine Erlaubnis, gegen die Deportationen im Mai 1944 vorzugehen.

 

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Palästinaauswanderung

Nachdem Lutz erfahren hatte, daß das Palästinaamt für 8000 jüdische Familien Einwanderungsbewilligungen nach Palästina erhalten hatte, nahm er Kontakt mit dem ungarischen Außenministerium und mit dem Ministerpräsidenten Sztójay auf. Dieses war Lutz möglich, da er die britischen Interessen vertrat, in deren Zuständigkeit die Einwanderung nach Palästina fiel. Nach langen Verhandlungen akzeptierte Ungarn, daß die Inhaber von Palästinazertifikaten unter dem Schutz der Schweiz standen und vom Arbeitsdienst ausgenommen waren.

Lutz organisierte die Auswanderungsaktion in der ehemaligen amerikanischen Botschaft am Szabadság-Platz. Nachdem dieses Gebäude von auswanderungswilligen Juden umlagert wurde, eröffnete Lutz ein zusätzliches Haus in der Vadászgasse.

Adolf Eichmann wußte nicht, wie er die Palästinaauswanderung werten sollte. In einer Note an das RSHA bat er am 24.7.1944 um Klärung:

"Aufgrund der der ungarischen Regierung übermittelten Zustimmung der deutscehn (sic.) Reichsregierung mit den von den neutralen Staaten - Schweden und Schweiz - betriebenen Auswanderungsmöglichkeiten für ungarische Juden gehen die ausländischen Missionen bereits dazu über, Auswanderungspapiere zu erteilen. In der deutscehn (sic.) Antwortnote ist nicht mit aller Schärfe die Palästinaauswanderung untersagt worden; es heisst dort vielmehr, daß nach Möglichkeit von einer Palästinaauswanderung abgesehen werden soll. Ohne daß bisher erkennbar geworden ist, daß eine andere Auswanderung als nach Palästina von den betreffenden ausländischen neutralen Missionen versucht worden wäre, betreiben sie gleich von Anfang die Auswanderung nach Palästina. Die hiesige deutsche Gesandtschaft hat bisher diesen Bestrebungen sich nicht entgegengestellt, da sie der Meinung ist, daß die Palästinaauswanderung deutscherseits nicht grundsätzlich abgelehnt worden sei. - Es ist von hier dafür Sorge getragen, daß auch seitens der hiesigen Gesandtschaft alles nur Mögliche getan wird, um die Auswanderungsbestrebungen in die Länge zu ziehen und schliesslich nach Fortsetzung der Judenevakuierung ganz zu unterbinden."

(Note von Eichmann an Günther (RSHA) vom 24.7.1944, Braham "Destruction", Doc. 328)

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Der Schweizer Kollektivpaß

Raoul Wallenberg nahm nach seiner Ankunft in Budapest gleich Kontakt zu Lutz auf und ließ sich von Lutz über dessen Tätigkeit informieren. Lutz erhielt aus Bern keine Erlaubnis, individuelle Pässe auszustellen. Dazu Carl Lutz:

"Da ich keine individuellen Pässe vergeben konnte, stellte ich - ohne meine Regierung zu fragen - den Zertifikatsinhabern Bescheinigungen der schweizerischen Gesandtschaft aus. Da diese auf einem Schweizer Kollektivpass aufschienen, konnte man annehmen, die darauf genannten Personen wären Schweizer. (...) Gleichzeitig konnte ich mit dem ungarischen Außenministerium vereinbaren, dass alle Mitarbeiter der Abteilung "Fremde Interessen" bei der schweizerischen Gesandtschaft von den für Juden geltenden Vorschriften (...) befreit waren. Auf mein Ersuchen stellte die ungarische Regierung 170 solcher Ausweise aus."

(Grossman, S. 54f)

50 jüdische Freiwillige beschafften die nötigen Personalien und Fotos der Personen. In jedem Kollektivpaß waren etwa 1000 Personen eingetragen. Der erste Kollektivpaß wurde am 29.7.1944 ausgestellt. Lutz verhandelte mit Eichmann und Veesenmayer. Letzterem wurde vom Auswärtigen Amt in Berlin mitgeteilt, er solle Lutz im Rahmen des Möglichen entgegenkommen, in Anbetracht von Lutz Verdiensten um die Vertretung der deutschen Interessen in Palästina.

Bis Oktober 1944 wurde seine Arbeit jedoch durch die bürokratische und tatenlose Arbeit in seiner Auswanderungsabteilung sehr gehemmt. So waren für seine geplante Auswanderungsaktion von 7800 Familien nach einigen Monaten nur 2200 Personen gefunden. Nach dem Krieg erfuhr Lutz, daß eigentlich die Berechtigung für 19.000 Palästinazertifikate vorlag. Dieses war ihm jedoch vom Palästinaamt verschwiegen worden.

 

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Erweiterung der Hilfe nach dem Pfeilkreuzlerputsch

Nach dem Pfeilkreuzlerputsch stellte Lutz auch Schutzpässe aus. Diese trugen jedoch kein Foto des Inhabers und keine Unterschrift des Konsuls. Die Szálasi-Regierung bewilligte 5000 solcher Dokumente, die Lutz aber immer auf eine ganze Familie ausdehnte. Im Oktober wurden auch Schweizer Schutzhäuser eingerichtet. In den Gesandtschaftsgebäuden der Schweiz waren schon vorher etwa 2000 Juden untergebracht gewesen. Dort arbeiteten auch jüdische Pioniere, die Tausende gefälschte Dokumente herstellten, darunter auch viele Schweizer Schutzpässe. Dies führte dazu, daß Lutz gezwungen war, Schutzpässe von Juden zu kontrollieren.

Carl Lutz erinnerte sich nach dem Krieg:

"Bald waren auch die 50 000 Schutzbriefe vergriffen, und noch immer flehten Tausende vor unseren Toren um solche lebensrettende Zertifikate. Ich konnte das Kontingent unmöglich überschreiten, ohne den Zorn der Behörden heraufzubeschwören und die ganze Aktion zu gefährden. Bald bildeten sich jüdische Stellen, die massenhaft gefälschte Schutzbriefe verteilten bzw. an die Unglücklichen verkauften, was mir viel Kopfzerbrechen machte. Jeder versuchte natürlich, mit aller Gewalt in den Besitz eines solchen Lebensrettungszertifikats zu kommen. Die ungarischen Behörden wurden sehr bald darauf aufmerksam und drohten damit, alle Juden in ihren Gewahrsam zu nehmen. Ich protestierte und versprach, bei der Sichtung der "guten" und "schlechten" Schutzbriefe persönlich mitzuhelfen. Sämtliche Häuser mußten mit Hilfe eines starken Polizeikordons durchkämmt werden. Schließlich befahl man alle Einwohner auf die Straße oder in den Park und nahm dort die Sichtung bzw. Prüfung vor. Hunderte von Inhabern der sogenannten Schutzbriefe waren aber bereits in die Lager bzw. in eine Ziegelei verbracht worden, wo sie den Abtransport zu Fuß an die deutsche Grenze abwarteten. So mußten auch dort Tausende von Briefen überprüft werden. Das war für uns wohl die schmerzlichste Aufgabe. Ich bin mit meiner Frau einmal vier Stunden in Schnee und Eis in der berüchtigt gewordenen Ziegelei in Òbuda gestanden und habe diese traurige Arbeit der Ausscheidung der Schutzbriefe vorgenommen.

Herzzerreißende Szenen spielten sich ab. Fünftausend dieser unglücklichen Menschen standen in Reih und Glied, frierend, zitternd, hungernd, mit armseligen Bündeln beladen, und streckten mir ihre Briefe entgegen. Nie werde ich diese verängstigten Gesichter vergessen. Immer wieder mußte die Polizei eingreifen, weil mir die Leute die Kleider beinahe vom Leibe rissen, indem sie ihre Bitten vortrugen. Es war das letzte Aufflackern des Lebenswillens vor der Resignation, die so oft im Tode endete. Für uns war es eine seelische Tortur, diese Aussonderung vornehmen zu müssen. Es war bei solchen Anlässen, wo Menschen mit Hundepeitschen geschlagen wurden und dann mit blutenden Gesichtern auf dem Boden lagen, und wir mit der blanken Waffe bedroht wurden, wenn wir versuchten zu intervenieren. Wie oft bin ich mit meinem Wagen an der Seite der nach der Ziegelei marschierenden Menschen gefahren, um ihnen zu zeigen, daß noch nicht alles verloren sei, bis dann die stark bewaffnete Begleitmannschaft mir den Weg versperrte."

(Lutz, NZZ)

 

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Kein Dank aus der Schweiz für Carl Lutz

Als Carl Lutz Ende Mai 1945 in Genf eintraf, erwartete ihn kein Dank für seine Tätigkeit. Statt dessen wurde ihm vorgeworfen, seine Kompetenzen überschritten zu haben.

"... die Bezeichnung der betreffenden Ausweispapiere als schweizerische Kollektivpässe (war) nicht statthaft (...), denn die Abteilung für fremde Interessen sei wohl ermächtigt gewesen, den ihren Schutz unterstellten Ausländern Papiere abzugeben, habe aber diese nicht als Schweizerpässe bezeichnen dürfen. Die Polizeiabteilung gelangt deshalb zum Ergebnis, dass eine Kompetenzüberschreitung Ihrerseits vorgelegen habe.

Da die Ausstellung der fraglichen Dokumente bereits 5 Jahre zurückliegt, möchten wir im Einvernehmen mit der Polizeiabteilung dem Falle keine grosse Bedeutung mehr beimessen; doch wollten wir immerhin diese Seite der Angelegenheit nicht unerwähnt lassen."

(Eidgenössisches politisches Department an Lutz, 5.2.1949; Grossmann, S. 194)

Dieses wird verständlich, wenn man die Politik der Schweizer Regierung in der Zeit des Nationalsozialismus betrachtet. Es herrschte die Befürchtung, daß Deutschland die Schweiz besetzen könnte. Ferner bemühte sich die Schweiz zu verhindern, daß Juden aus Deutschland in die Schweiz flohen.

"Es war für mich unverständlich," äußerte sich Carl Lutz, "dass das grosse, auffallende "J" in den Reisepässen der in Hitlerdeutschland als Juden eingestuften Personen keineswegs eine Erfindung der Nazis, sondern die Idee Schweizer Bürokraten war. (...) Ich bemühte mich, den Dementis unserer Regierung Glauben zu schenken, wollte es nicht wahr haben, dass diese Regierung solch einer Diskriminierung ihre Zustimmung gegeben hatte."

(Grossman, S. 202 f)

Erst 1958 erfolgte die Rehabilitation von Carl Lutz. Kurz vor seiner Pensionierung im Jahre 1961 wurde er zum Ehrenkonsul ernannt. Dieses geschah aber nur halbherzig, so wurde sein Gehalt nicht angepaßt.

Carl Lutz starb am 13.2.1975 in Bern. 16 Jahre später wurde zu seiner Erinnerung ein Denkmal in Budapest enthüllt.

 

 

 

 

 

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