[Putsch] [Carl Lutz] [Todesmarsch] [Zwangsarbeiter] [Dezember 1944] [Eroberung Budapests]

Der Todesmarsch

Deutschland fordert ungarische Zwangsarbeiter

Beginn der Todesmärsche

Protest und Hilfe von den neutralen Ländern

Das Ende der Todesmärsche

 

(Zurück zur Übersicht)

Deutschland fordert ungarische Zwangsarbeiter

Adolf Eichmann kehrte zwei Tage nach dem Pfeilkreuzlerputsch nach Budapest zurück. Nun wollte er seine Aufgabe in Ungarn vollenden: Die Vernichtung der Budapester Juden.

Aus Deutschland gingen verstärkt Forderungen an die ungarische Regierung, jüdische Arbeitskräfte ins Deutsche Reich zu überstellen. Hitler brauchte Arbeitskräfte zur Errichtung des Ostwalls. Am 18.10.1944 vereinbarte Veesenmayer mit dem neuen ungarischen Innenminister Gábor Vajna, daß insgesamt 50.000 Juden ins Reich gebracht werden sollten. Am 20. Oktober wurden alle arbeitsfähigen Männer aus den gekennzeichneten Häusern festgenommen. In den folgenden Tagen wurden auch Frauen zwischen 16 und 40 Jahren in diese Aktion mit einbezogen. Bis zum 26. Oktober wurden 25.000 Männer und 10.000 Frauen in das Zwangsarbeiterkontingent aufgenommen. Der für den Arbeitsdienst zuständige Verteidigungsminister Beregfy ordnete an, daß 70 jüdische Arbeitsdiensteinheiten in das Reich überstellt werden sollten.

Für die Deportation standen jedoch keine Eisenbahnwagen zur Verfügung. Daher beschloß Eichmann, daß die Juden zu Fuß gehen sollten. In einer Ziegelei in Óbuda befanden sich über 70.000 Menschen auf engem Raum. Zwischen 1-3 Tagen hielten sie sich jeweils dort auf, ohne jegliche Verpflegung. Das Internationale Rote Kreuz konnte durchsetzen, daß freiwillige Ärzte sich um die Kranken kümmern durften. Jeden Morgen erschienen die Vertreter der neutralen Gesandtschaften, unter ihnen Raoul Wallenberg und Carl Lutz, um ihre Schützlinge zu retten.

 

(Zurück zur Übersicht)

Beginn der Todesmärsche

Am 8. November 1944 begannen die Märsche, die unter dem Namen "Todesmärsche" bekannt werden sollten. Sie führten zu der etwa 240 km weit entfernten ungarisch-österreichischen Grenze. Die deutsche Hauptführung lag bei Eichmann selbst. Für die Ungarn waren Generaloberst Fábián und Oberstleutnant Ferenczy verantwortlich.

Die Menschen waren für den Marsch nicht ausgerüstet. Viele Kinder, Frauen und alte Menschen befanden sich in den Kolonnen. Schon bald säumten Tote die Straßen. Kranke Menschen, die vor Erschöpfung nicht mehr weiter gehen konnten, wurden von den Pfeilkreuzlern erschossen, oder blieben auf der Straße ohne Hilfe zurück. In Gruppen zu tausend, wurden sie täglich zu 25 bis 30 km langen Märschen gezwungen.

 

(Zurück zur Übersicht)

Protest und Hilfe von den neutralen Ländern

Die Vertretungen der neutralen Länder erhoben Protest gegen die erneuten Deportationen. Allein die Tatsache, daß sich unter den Marschierenden viele arbeitsunfähige Menschen befanden, zeigte ihnen, daß der vermeintliche Arbeitseinsatz nur ein Vorwand war. Raoul Wallenberg, Carl Lutz und Sándor Ujvári, ein Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes, letzterer von Nuntius Angelo Rotta mit Blanko-Schutzbriefen des Vatikans ausgerüstet, begleiteten die Marschkolonnen. Es wurde Essen, Medikamente und Decken verteilt. Zudem begannen die Bemühungen, die Inhaber von Schutzpässen aus den Kolonnen herauszuholen und nach Budapest zurückzubringen. Mitgeführte Blanko-Ausweise wurden ausgestellt. Einen Überblick über die einzelnen Rettungsbemühungen geben die Berichte von Vertretern von Schweden und der Schweiz.

 

Meldung der Schwedischen Gesandtschaft über den Todesmarsch

"Das Schauspiel, das sich vor uns abspielte, rührte sogar den einen oder anderen martialischen, blutdürstigen Gendarmen. Mehr als einer erklärte, daß er lieber an der Front wäre, denn seine Nerven könnten den Anblick der Qualen dieser Elenden nicht mehr ertragen. Die Ausgehungerten, Kranken, Unglücklichen (von 12jährigen Kindern bis zu 74jährigen alten Frauen) zogen ohne Ausrüstung, zerfetzt und schmutzig dahin. Vor der Selektierung in Hegyeshalom schliefen sie das letzte Mal auf ungarischem Boden in Magyaróvár im regnerischen, kalten Monat November in einem Arbeitsraum einer verlassenen, fensterlosen und natürlich ungeheizten Fabrik auf dem kahlen Boden. Mit Hilfe des dortigen menschlicheren Lagerkommandanten stellte Wallenberg eine kleine Hilfsstation mit Medikamenten auf. Auch die transportable Küche ließen wir mit den entsprechenden Lebensmitteln dort. Wallenberg mischte sich unter die unglücklichen Menschen, fragte sie aus, verteilte unter den Todesgeweihten Zigaretten, Rum und Eßwaren.

Auf unserem Rückweg sahen wir am Wegrand an vielen Stellen Leichen der zu Tode gehetzten und von den Pfeilkreuzlern ermordeten Menschen. Niemand dachte daran, sie zu begraben. Die meisten sogenannten Ruheplätze waren unter freiem Himmel, auf den Feldern, Dorfmarktplätzen usw. Im besten Fall lagerten die in die Deportation getriebenen Zehntausende hungernd im stürmischen, kalten Novemberregen, durchnäßt und frierend in einem Schuppen ohne Seitenwände ..."

(Levai "Eichmann", S. 187 f)

 

Bericht der Schweizer Gesandtschaft

"Die in Budapest von den Straßen und aus den Häusern durch die Polizei, hauptsächlich aber durch die Mitglieder der Pfeilkreuzler-Partei ausgehobenen Juden sind in Ofen, in der sog. "Ujlaker" Ziegelei konzentriert worden. (...) Nachher sind die Deportierten von der Ziegelei, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, in größeren Gruppen zu Fuß teils nach Komaron, Szöny, Gönyü, meist aber nach Hegyeshalom getrieben worden. (...) Den 200-220 km. langen Weg bis Hegyeshalom haben sie meistens innerhalb 7-8 Tage absolviert. Die unterwegs Erkrankten sind häufig durch das Begleitpersonal erschossen oder diese Erkrankten unterwegs in verlassenen landwirtschaftlichen Schuppen zurückgelassen worden, wo sie ohne ärztliche Hilfe geblieben sind und auch für ihre Verköstigung nur in seltenen Fällen und auch dann derart mangelhaft Sorge getragen wurde, daß sie bestenfalls täglich eine leere Suppe erhalten haben. (...) In Hegyeshalom haben wir die Deportierten in dem denkbar schlechtesten Zustand vorgefunden. Die endlosen Mühen des Fußmarsches, der fast gänzliche Ausfall der Verköstigung, gesteigert durch die quälende ständige Angst, daß sie in Deutschland den Vernichtungskammern zugeführt werden, haben diese armseligen Deportierten in einen Zustand versetzt, daß jedes menschliche Aussehen und jede Menschenwürde ihnen gänzlich fehlen. Ihr Zustand läßt sich mit keinem von durch physische Entbehrungen und Leiden herabgekommener anderer Leute vergleichen. Die Entblößung von den elementarsten Menschenrechten, der Umstand, daß sie dem sich brutal aufführenden Wachpersonal meistens restlos ausgeliefert waren, die praktisch ihnen gegenüber vom ins-Gesicht-spucken über Schläge und Ohrfeigen bis zum Niederschiessen alles tun konnten - ließen an den unglücklichen Opfern den Stempel dieser Grausamkeiten zurück. Die menschliche Würde läßt sich in Armut und Elend, jedoch bei Rechtssicherheit, bewahren. Aber diese Menschenwürde geht im Falle der totalen Rechtsentgleisung und Auslieferung verloren. (...) Die Verköstigung der Deportierten in Hegyeshalom war schon befriedigender. Täglich 2mal haben sie zu essen bekommen, und die Verköstigung hat sich zufolge Auswirkung unseres Besuches und unserer Intervention scheinbar noch gebessert. (...)"

(IfZ Eich 853)

Zum Teil führte das Eingreifen der Diplomaten dazu, daß nur auffällig wenige Juden in den Kolonnen verblieben waren. Dieses führte zu Protesten der Deutschen.

"Wie mir berichtet wird, fuhren beim Abtransport der in das Reich gehenden jüdischen Marschkolonnen Abgesandte der Schweizer Gesandtschaft einer Kolonne nach und verteilten an die marschierenden Juden Schutzpässe in so grosser Anzahl, dass am Ende des Marschtages der Grossteil der Kolonne verschwunden war, da die ausgegebenen Schutzpässe von den begleitenden Wachmannschaften der Honved respektiert wurden."

(Telegramm von Kaltenbrunner an das AA (11.11.1944), Braham "Destruction", Doc. 393)

 

Aus Anlaß des Todesmarsches richteten die Vertreter der neutralen Mächte zum zweiten Mal gemeinsam eine Protestnote an die ungarische Regierung:

"Die in Budapest akkreditierten Vertreter der neutralen Mächte wenden sich höflich an die königliche-ungarische Regierung mit dem Folgenden:

Nachdem nahezu eine halbe Million Juden bis August aus Ungarn ins Ausland deportiert worden waren, die Regierungen der neutralen Mächte aber positiv in Erfahrung gebracht hatten, was die Deportationen in Wirklichkeit bedeuten, haben sie einen gemeinsamen diplomatischen Schritt getan und die königliche-ungarische Regierung gebeten, die Wiederaufnahme der Deportation zu verhindern. Dieser diplomatische Schritt wurde damals günstig aufgenommen, einige hunderttausend Menschenleben waren zu retten.

Am Tag nach dem 15. Oktober gaben die neue Regierung und Seine Exzellenz, der Herr Ministerpräsident Szálasi selbst, feste und feierliche Zusagen, daß es weder Deportation noch Vernichtung der Juden geben werde. Im Gegensatz dazu, erfuhren die Vertreter der neutralen Mächte, aus völlig sicherer Quelle, daß die Deportation aller Juden abermals beschlossen wurde und mit einer solchen grausamen Strenge durchgeführt wird, daß die ganze Welt die Unmenschlichkeit brandmarkt, die den Vollzug begleitet.

Inzwischen wird, wie seinerzeit - im Sommer - behauptet, daß es sich nicht um Deportation, sondern nur um Arbeitsdienst im Ausland handelt. Doch die Vertreter der neutralen Mächte kennen jene grauenvolle Wirklichkeit, die sich für die meisten der Unglücklichen unter diesem Namen verbirgt. Übrigens genügt die Überlegung, daß Kleinkinder, Greise und Kranke weggeschleppt wurden, um zur Gewißheit zu kommen, daß es sich hier nicht um Arbeit handelt. Dagegen lassen die Grausamkeiten, mit denen der Abtransport durchgeführt wurde, voraussehen, wie das Ende des tragischen Auszuges sein wird.

Unter diesen schrecklichen Umständen können die Vertreter der neutralen Mächte sich der von Menschlichkeit und christlicher Liebe auferlegten Pflicht nicht entziehen, vor der königlichen-ungarischen Regierung ihrer brennenden Sorge Ausdruck zu geben und sie um folgendes zu bitten:

1. Sie soll den Beschluß der Deportation der Juden widerrufen und die im Gange befindlichen Maßnahmen derart einstellen, daß die Unglücklichen, die von ihren Familien getrennt wurden, in kürzester Frist dorthin zurückkehren können.

2. Denjenigen, die unter der Bezeichnung Arbeitsdienst in Konzentrationslagern zu leben gezwungen sind, soll eine entsprechende menschliche Behandlung zugesichert werden (genügende Nahrung, ein Obdach, sanitäre und religiöse Versorgung, Achtung des Lebens).

3. Voller und loyaler Vollzug der Maßnahmen, die die ungarische Regierung im Interesse jener Juden getroffen hat, die unter dem Schutz der in Budapest akkreditierten Gesandtschaften stehen. Die Zwischenfälle häufen sich, und die Verachtung mit der die untergeordneten Organe die Anordnungen der Obrigkeit behandeln, wirkt sehr sonderbar.

Die Vertreter der neutralen Mächte hoffen, daß die königlich ungarische Regierung diesem diplomatischen Schritt Verständnis entgegenbringt und nach dessen wohlwollender Aufnahme zu den Erklärungen und Versprechungen Seiner Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Szálasi zurückkehrt. Dieser diplomatische Schritt ist nicht nur von der Empfindung des Mitleids, den man den verfolgten Juden schenken muß, inspiriert, wir wünschen auch Ungarn von einem Makel befreit zu sehen, der seine glorreiche Geschichte für ewig beschmutzen würde. Die Regierung, die die Verantwortung für das Schicksal des ungarischen Volkes trägt, wird ihm zweifellos die Nachteile ersparen wollen, denen, falls die mit Ungarn im Krieg befindlichen Mächte zur Vergeltung schreiten, alle Ungarn im Ausland ausgesetzt wären, wenn die Deportation und Vernichtung der Juden fortgesetzt würde, um nicht zu sagen, daß bei einer Besetzung Ungarns die Besatzungsorgane dem ungarischen Volk gegenüber dieselben Methoden anwenden könnten.

Die Vertreter der neutralen Staaten sowie ihre Regierungen haben kein anderes Ziel, als die menschlichen Leiden zu mildern und die Hilfsorganisationen für die Opfer des Krieges zu verstärken. Wie die ungarische Regierung diesen Schritt aufnimmt und danach vorgeht, wird von großer Wirkung auf das Verhalten der neutralen Mächte dem ungarischen Volke gegenüber sein: Eine günstige Aufnahme wird anspornend auf sie wirken, um mit noch mehr Interesse und Wohlwollen für das ungarische Volk zu arbeiten, besonders in dem bedauerlichen Fall, daß sich die feindliche Besetzung noch weiter ausweiten sollte.

Die Vertreter der neutralen Mächte vertrauen darauf, daß die edle ungarische Nation zu ihren uralten christlichen Traditionen zurückkehrt und auch noch in diesen schweren Augenblicken den Prinzipien und Methoden treu bleibt, die aus Ungarn ein zivilisiertes und von der ganzen Welt bewundertes Land gemacht haben.

Budapest, den 17. November 1944

Der Apostolische Nuntius Angelo Rotta

Der schwedische Minister Carl Joan Danielsson

Der Schweizer Geschäftsträger Harald Feller

Der spanische Geschäftsträger Jorge Perlasca

Der portugiesische Geschäftsträger Graf Pongrácz"

(Levai "Geheime Reichssache ", S. 46f)

 

 

(Zurück zur Übersicht)

Das Ende der Todesmärsche

Die Juden, die nicht aus den Kolonnen befreit werden konnten, wurden in verschiedene Konzentrationslager überstellt, hauptsächlich nach Dachau und Mauthausen.

Bis zum 12. November 1944 waren nach einer Meldung Veesenmayers rund 27.000 Juden beiden Geschlechts in "Tagesraten von 2-4000" in Richtung Reich in Marsch gesetzt worden.

Obersturmbannführer Hoeß, Leiter für den Judeneinsatz Niederdonau, erhob Protest gegen die Märsche. Er beklagte sich, daß die "ungeeigneten Kontingente" halbverhungerter, geschundener, kranker Juden eine "schwerste Belastung seines Arbeitsdienstes" darstellten.

Andere Nazis erhoben Protest gegen die Art der Durchführung in aller Öffentlichkeit. Daraufhin ordnete Szálasi am 21. November an, daß "in Hinblick auf hierbei aufgetretene Unzulänglichkeiten", Frauen nur noch dann deportiert werden dürften, wenn Transportmittel bereitgestellt würden. Damit brach die Organisation zusammen. Über 76.000 Juden mußten an den Märschen teilnehmen. Tausende von ihnen wurden erschossen, verhungerten oder starben an den Auswirkungen der Kälte und an Krankheiten.

 

 

 

 

 

(Zurück zur Übersicht)