Der Pfeilkreuzlerputsch
Der gescheiterte Waffenstillstand
Terror der Pfeilkreuzler
Organisation
Erreichte Ergebnisse
Kampf um die Gültigkeit der Schutzpässe
Schwedische Schutzhäuser
Überfälle auf Schutzhäuser
Wallenbergs Tätigkeit
Danielsson bleibt in Budapest
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Der gescheiterte Waffenstillstand
Horthy plante einen Waffenstillstand mit den Russen auszurufen. In einer Rundfunkansprache erklärte er gegen Mittag des 15. Oktober 1944, daß der Krieg zu Ende sei. Nicht nur bei den Juden in Ungarn herrschte Freude darüber. Doch die Freude war verfrüht. Die Deutschen brachten Horthys Sohn in ihre Gewalt, so wurde Horthy gezwungen, sich zu ergeben. Am nächsten Tag mußte er nach Deutschland ins Exil gehen. Sein Sohn wurde ins KZ Mauthausen deportiert. Der Pfeilkreuzlerführer Szálasi übernahm die Macht.
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Terror der Pfeilkreuzler
Wallenberg schilderte in einem Bericht am 22. Oktober 1944 die Folgen des Putsches:
" Seit dem letzten Bericht hat sich die Stellung der Juden in Ungarn bedeutend verschlechtert. Die neue Regierung beabsichtigt, die Juden für die Verteidigung des Landes und für die Verteidigung von Budapest zu nutzen. Die Transporte haben bereits begonnen.
Den Juden war es während der ganzen Woche nicht erlaubt, ihre Wohnungen zu verlassen, dieses führte zu ungeheueren Leiden. (...) Diese Juden (die vorher von den antijüdischen Maßnahmen ausgenommen waren) verbrachten die ganze Woche weitgehend in Kellern, in verlassenen Geschäften, bei arischen Freunden und in speziell geteilten Räumen und Gebäuden des Roten Kreuzes und von den Neutralen Staaten und anderswo. Die Strafe für die leichteste Nichtbefolgung der antijüdischen Maßnahmen war die Todesstrafe.
In den ersten Tagen des Putsches haben sich zahlreiche Verhaftungen ereignet und mehrere Pogrome fanden statt. Während dieser Grausamkeiten wurden annähernd 100 bis 200 Menschen ermordet. Die Pfeilkreuzler räumten einige Judenhäuser und brachten deren Bewohner in Internierungslager.
Diese Leute wurden größtenteils wieder freigelassen, aber einige hundert verschwanden. Die Häuser wurden systematisch durchsucht und alle Männer im Alter zwischen 16 und 60 Jahren wurden zum Zwangsarbeitsdienst verschleppt. Ein Augenzeuge sah eine solche Kolonne in Richtung Gödöllö marschieren. Die Marschierenden wurden schlecht behandelt. Ein toter 60jähriger Jude wurde an der Straßenseite mit einer Zeitung zugedeckt gefunden. Die Zeichen der Mißhandlung waren deutlich sichtbar.
Am nächsten Morgen wurden all die Männer, welche noch nicht verschleppt waren, und alle Frauen im Alter von 16 bis 40 Jahren zum Graben von Panzerfallen verpflichtet. Zu mehreren Zeitpunkten griffen bewaffnete Banditen die Inhaber von Schutzpässen an und zerrissen deren Papiere. Es liegt keine Nachricht vor, ob Schutzpassinhaber getötet worden sind. Einer wurde zum Tode verurteilt, aber er wurde begnadigt. Die Exterritorialität von Gebäuden des Schwedischen Roten Kreuzes wurde zweimal verletzt. Verhandlungen sind in Fortschritt.
Entsprechend eines Telegramms, haben SS-Männer vor dem Putsch 2000 jüdische Zwangsarbeiter, die von den Kupferminen in Bor nach Ungarn zurückkehrten, sowie 200 andere, die sich in Kiskunhalas befanden, ermordet.
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Organisation
Die Ereignisse des 17. Oktober haben eine katastrophale Wirkung auf unsere Abteilung. Das gesamte Personal blieb der Arbeit fern, ein Kraftwagen, der uns zur freien Verfügung stand, und die Schlüssel zu einigen verschlossenen Räumen und Schränken sind verschwunden.
Ich war den gesamten Tag gezwungen mit einem Frauenfahrrad auf den Straßen, die von Banditen belagert waren, zu fahren, um die Fäden wieder aufzunehmen.
Der zweite Tag verging mit der Bemühung, das Personal, welches sich in Gefahr befand, einzusammeln und sie mit dem Auto in Sicherheit zu bringen.
Ich versorgte sie mit Essen aus einer Tasche. Bis heute fehlen nur zehn Mitglieder meines Personales und dreißig wurden noch nicht zur Arbeit gemeldet. Die größeren Räume der Abteilung werden von der Gesandtschaft für die Unterbringung der Mitglieder der schwedischen Ansiedlung gebraucht. Das Außenministerium bat mich, mein ganzes Personal, zusammen mit ihren Familien, in speziellen Gebäuden unterzubringen. Wir begannen damit, in dieser Richtung zu arbeiten.
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Erreichte Ergebnisse
Hinsichtlich meines Personales wurde der Status Quo wiederhergestellt. Der Außenminister informierte mich, daß 4500 geschützte Juden frei das Land verlassen können. Die Deutsche Gesandtschaft sagte uns, daß sie nur gegen das Verlassen von 400-500 Personen keine Einwände haben. Betreffend den anderen 4000 Juden hat die Deutsche Gesandtschaft keine Anweisungen aus Berlin und war sich nicht bewußt, ob es Verhandlungen mit der Schwedischen Gesandtschaft in Berlin diesbezüglich gab.
Die Einstellung der erwähnten feindlichen Maßnahmen ist weitgehend unserer Abteilung anzurechnen. Die Inhaber von Schutzpässen sind, als Ergebnis der Bestechung von Behörden, weitgehend von der Heranziehung zur Zwangsarbeit oder von der Internierung etc. ausgenommen. Zu Beginn des Putsches befanden sich 40 geschützte Juden in dem sogenannten "Schwedischen Bataillon", zusammen mit 150 anderen Personen.
Wir schafften es, 80 von diesen Personen zu befreien. Die vierzig durch Schweden geschützte Juden wurden offiziell unter dem Schutz der Gesandtschaft unterstellt und es wurde ihnen erlaubt, bis zum 24. Oktober abzureisen.
Budapest, den 22. Oktober 1944 Raoul Wallenberg, Gesandtschaftssekretär."
(Levai "Wallenberg", S. 90 f)
Raoul Wallenberg hatte im Oktober eine Abteilung mit dem Namen "Schützling-Protokoll" geschaffen. Aufgabe dieser Abteilung war es, die Interessen der geschützten Juden wahrzunehmen. Wallenberg erwartete viel von seinen Mitarbeitern:
"Mitglieder dieser Abteilung müssen ständig im Dienst sein, Tag und Nacht, ohne Pause. Wenn jemand in Schwierigkeiten gerät, kann er nicht auf viel Hilfe hoffen. Wenn er eine gute Arbeit leistet, kann er keinen Dank erwarten."
(Levai "Wallenberg", S. 123)
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Kampf um die Gültigkeit der Schutzpässe
Am 18.10.1944 gab Innenminister Gábor Vajna bekannt, daß keine Schutzpässe mehr anerkannt werden würden.
Erklärung des Innenministers Gábor Vajna
"In Verbindung mit der Judenfrage, die in den letzten Monaten so viel Aufregung bei den Juden sowie in einigen judenfreundlichen Kreisen auslöste, erkläre ich, daß wir die Judenfrage lösen werden. Diese Lösung, wenn sie auch erbarmungslos sein wird, wird so sein, wie sie das Judentum durch sein bisheriges und jetziges Verhalten verdient hat. Zur Abwicklung der Judenfrage werden besondere ausführliche Verordnungen erscheinen und durchgeführt. Niemand soll eigenmächtig über das Judentum richten, die Lösung dieser Frage ist Aufgabe der Staatsmacht. Und diese Frage - darüber kann jeder beruhigt sein - werden wir lösen. Ich mache das Judentum und alle diejenigen, die seinem Interesse dienen, ausdrücklich darauf aufmerksam, daß alle Organe der Staatsmacht streng über ihr Verhalten wachen, und die bereits getroffenen sowie die späteren Maßnahmen werde ich auch in Anbetracht des Krieges mit besonderer Strenge durchführen. In dieser Hinsicht kenne ich keine römisch-katholischen, evangelischen oder israelitischen Juden, sondern nur Mitglieder der jüdischen Rasse. Ich erkenne keinerlei Schutzbriefe oder ausländische Pässe an, die Juden ungarischer Staatsbürgerschaft von irgendwo oder von irgend jemandem erhalten haben. Im Augenblick stehen die in Ungarn lebenden Juden unter Kontrolle und Leitung des ungarischen Staates, und in diese Frage hat niemand, weder vom In- noch vom Ausland, hineinzureden. Kein Mitglied der jüdischen Rasse soll also glauben, daß es mit Hilfe von Fremden die gesetzlichen Verordnungen der ungarischen Staatsmacht umgehen kann. Sollte es doch irgendein Jude wagen, ein Attentat oder irgendein anderes Verbrechen gegen das Heer der ungarischen Nation oder ihrer Verbündeten oder gegen die bürgerliche Einwohnerschaft zu verüben, so werde ich Zwangsmaßnahmen gegen das hiesige Judentum treffen, die als Genugtuung für ihre Taten gegen unsere Nation oder gegen unsere Verbündeten dienen werden."
(Levai "Eichmann in Ungarn", S. 166)
Reaktion von Wallenberg
Raoul Wallenberg nahm mit Baronin von Kemény, der Frau des Außenministers, Kontakt auf. Er erklärte ihr, daß die Schutzpässe wieder offiziell anerkannt werden müßten. Ansonsten würden die neutralen Länder die Szálasi-Regierung nicht anerkennen. Zudem würde ihr Mann, Gábor von Kemény, nach Kriegsende als Kriegsverbrecher hingerichtet werden. Baronin von Kemény gelang es, ihren Mann zu überzeugen, daß er die Schutzpässe anerkennen müsse. Im Rundfunk ließ er bekanntgeben, daß die Schutzpässe wieder Geltung hätten. In einem Brief an seine Mutter bemerkte Wallenberg zu seiner Beziehung zu Baronin von Kemény: "Mit der Frau des Außenministers war ich ziemlich gut befreundet. Leider ist sie jetzt weggereist nach Meran."
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Schwedische Schutzhäuser
Wallenberg stellte die Versorgung seiner Schützlinge sicher. So richtete er eine Feldküche und zwei Krankenhäuser ein. Raoul Wallenberg kam auf die Idee, Häuser unter schwedischen Schutz zu stellen und den Juden mit Schutzpass zur Verfügung zu stellen. Nach Verhandlung mit László Ferenczy konnte er erreichen, daß zunächst drei Gebäude unter schwedischen Schutz gestellt werden durften. Sie boten Platz für 650 Juden. Im November erhöhte sich die Zahl der Schutzhäuser auf 32. In ihnen befanden sich auch Schulen und Feldküchen. Die Organisation und Leitung der Häuser wurde von Juden wahrgenommen. Andere neutrale Staaten folgten dem Beispiel Wallenbergs und richteten ebensolche Häuser für ihre geschützten Juden ein.
Wallenberg konnte nicht immer Verständnis von Seiten der anderen Gesandtschaftsmitglieder Schwedens erwarten. So hatten einige die Befürchtung, durch die Verteilung von so vielen Schutzpässen würden die anderen offiziellen Tätigkeiten der schwedischen Gesandtschaft beeinträchtigt.
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Überfälle auf Schutzhäuser
Dessen ungeachtet überfielen immer wieder Pfeilkreuzlerbanden Schutzhäuser und ermordeten Juden. Wenn Wallenberg von solchen Angriffen hörte, begab er sich sofort dorthin. Durch sein Erscheinen und Auftreten gelang es ihm, die Pfeilkreuzler zu stoppen. Doch nicht immer konnte er rechtzeitig eingreifen.
Wie wichtig das persönliche Auftreten Wallenbergs war, läßt sich einer Aussage von einer durch ihn geschützten Frau entnehmen:
"Er gab mir wieder das Gefühl, ein Mensch zu sein. Zum ersten Mal schöpfte ich wieder Hoffnung. Ich glaube, jeder von uns fühlte sich anders nach seinem ersten Besuch. Er zeigte uns, daß wir keine Tiere waren, daß sich jemand um uns kümmerte. Die entscheidenste Erfahrung für uns war, daß er selbst kam, persönlich. Für uns blieb er stehen, für jeden einzelnen von uns ...."
(Smith, S. 18)
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Wallenbergs Tätigkeit
Raoul Wallenberg hatte Informanten in den Polizeibehörden und unter den Pfeilkreuzlern. So konnte er öfters vorzeitig von geplanten Aktivitäten erfahren. Er stellte eine jüdische Garde zusammen, die in Uniformen der Deutschen oder der ungarischen Faschisten Gefängnisse aufsuchte und Juden befreite. Wallenberg begab sich zu möglichen Sammelpunkten, wie Ziegeleien, Bahnhöfen oder den Teleki-Platz. Er war in seiner Arbeit unabhängig von der schwedischen Gesandtschaft geworden. Er mißachtete notfalls diplomatische Gewohnheiten und Protokolle. Er setzte Bestechung, Schmeicheleien, Scheinfreundschaften, die Abgabe von Lebensmitteln und Versprechungen für die Zukunft als Hilfsmittel ein.
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Danielsson bleibt in Budapest
Der schwedische Gesandte Danielsson verschloß die Augen vor Wallenbergs "undiplomatischen" Handeln und unterzeichnete jeden ihm vorgelegten Schutzbrief. Die schwedische Regierung überlegte, ob Danielsson nach Stockholm zurückzukehren sollte, da sie die Szálasi-Regierung nicht anerkannten. Dieses hätte das Ende von Wallenbergs Tätigkeit bedeutet. Danielsson weigerte sich aber, Budapest zu verlassen und blieb bis zur Befreiung auf seinem Posten.
(Anmerkung: Danielsson wurde nach dem Krieg von Yad Vashem ausgezeichnet. Nach Behauptung von Giorgio Perlasca, stand Danielsson "im Ruf ein Nazi zu sein". In seinem Tagebuch äußerte sich Perlasca, daß er "für Danielsson nur Verachtung (empfinde). Meiner Meinung nach sollte ein Diplomat auftreten wie ein Soldat, er darf sich nicht so in seiner Stellung verschanzen, wie er es tut." (Tagebucheintragung vom 14.12.1944, Deaglio S. 115). Dem steht das Verhalten von Danielsson in Bezug auf Raoul Wallenbergs Hilfsmaßnahmen entgegen. Die schwedischen Schutzpässe unterschieden sich von den der anderen Länder dadurch, daß der Gesandte Danielsson sie persönlich unterzeichnete. Auch wenn Danielsson sich nicht direkt an den Taten Wallenbergs beteiligte, unterstützte er sie dadurch, daß er Wallenberg gewähren ließ. Danielsson unterzeichnete auch die drei Noten der Neutralen Staaten an die ungarische Regierung.)
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