[Bibliographie] [Buchbesprechungen]

Christoph Gann: Raoul Wallenberg. So viele Menschen retten wie möglich, C.H. Beck Verlag, München 1999

 

Lew Besymenski/Ulrich Völklein: Die Wahrheit über Raoul Wallenberg, Steidl-Verlag, Göttingen 2000

Bernt Schiller: Raoul Wallenberg. Das Ende einer Legende, Verlag Neues Leben, Berlin 1993

Theo Tschuy: Carl Lutz und die Juden von Budapest. (Vorwort von Simon Wiesenthal), NZZ-Verlag, Zürich 1995

Enrico Deaglio: Die Banalität des Guten. Die Geschichte des Hochstaplers Giorgio Perlasca, der 5200 Juden das Leben rettete, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1994

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"Raoul Wallenberg. So viele Menschen retten wie möglich."

von Christoph Gann, C.H. Beck Verlag, München 1999

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DIE ZEIT, Hans-Martin Lohmann, 25.11.1999, Politisches Buch

"Licht der Hoffnung

Über Leben und Wirken des Raoul Wallenberg

(...) Wenn es in all der Finsternis einen Hoffnungsfunken gab, dann verknüpft er sich nicht zuletzt mit dem Namen Raoul Wallenbergs, der zwischen Juli 1944 und Januar 1945 Zehntausende Budapester Juden vor der sicheren Vernichtung durch die Nationalsozialisten und ihre ungarischen Helfershelfer bewahrte. Aber wer hierzulande kennt Wallenberg? Selbst unter vielen historisch Gebildeten ruft die Nennung seines Namens kein Wiedererkennen, keine wissende Resonanz hervor, und noch 1995 sah sich das Bundesministerium für Post und Telekommunikation außerstande, Wallenberg anlässlich des 50. Jahrestages seines mysteriösen Verschwindens mit einer Briefmarke zu ehren.

Aber auch kein Geringerer als Raul Hilberg versäumte es in seinem Standardwerk über die Vernichtung der europäischen Juden, dem Schweden ein Denkmal zu setzen, wenngleich es darin ein eigenes Kapitel über das Schicksal der ungarischen Juden gibt. Obwohl dort von "Schutzpässen" die Rede ist, deren Ausstellung im Wesentlichen auf Wallenbergs Wirken zurückgeht, wird sein Name nirgends erwähnt. (...)

Wenn es um die so genannte Vergangenheitsbewältigung geht, hat sich die deutsche Justiz nach 1945 in den allermeisten Fällen als notorisch hartleibig erwiesen. Deshalb darf man es ohne Vorbehalt begrüßen, dass ausgerechnet ein Richter am Landgericht Meiningen, Christoph Gann, sich seit Jahren darum bemüht, den Spuren jenes Mannes nachzuforschen, über dessen Lebenszeit die Enzyklopädie lapidar vermerkt: 1912? (...)

Der Autor hat die bisher bekannten Quellen und Darstellungen kritisch gesichtet sowie neue Quellen erschlossen und ausgewertet, um das Wirken Wallenbergs im Interesse der Rettung der bedrohten Budapester Juden so lückenlos wie möglich zu dokumentieren. (...)

Über Wallenbergs Schicksal ist immer wieder spekuliert worden. Gann geht auf alle Vermutungen und Gedankenspiele ein, auch wenn sie noch so abstrus klingen. Für ihn bildet sich am Ende einer peniblen Prüfung der zugänglichen Quellen und Zeugenaussagen eine Lesart heraus, die zumindest politisch einiges für sich hat. (...)

Es gehe, schreibt Gann, nicht um ein Denkmal für Raoul Wallenberg, es gehe um die Wahrheit. Womöglich hat das postsowjetische Russland auch heute noch Gründe, Dokumente zurückzuhalten, weil Personen leben, die in den Fall Wallenberg verstrickt sind. Oder könnte es gar sein, dass auch andere Länder wie Großbritannien, Deutschland und Israel an einer vollständigen Aufklärung nicht wirklich interessiert sind?

Wie nur wenige verkörperte Raoul Wallenberg eine menschliche Hoffnung im düsteren 20. Jahrhundert. Es ist das Verdienst von Christoph Gann, wenn diese Hoffnung auch im 21. Jahrhundert fortlebt."

 

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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jasper von Altenbockum, 22.12.1999

"Im toten Winkel

Das Schicksal Raoul Wallenbergs bleibt auch nach der Öffnung der sowjetischen Archive geheimnisvoll

Lebt Raoul Wallenberg? Fällt der Name, so wird die Frage gestellt, eine von unzähligen im Fall Wallenberg. Das Ende des Kalten Kriegs, sollte man meinen, macht es nun endlich möglich, dem Schicksal des Schweden auf den Grund zu gehen. Am Ende seines spannenden Buches über Wallenberg, der im Januar 1945 spurlos in Moskau verschwand, nachdem er mehreren tausend Juden in Budapest das Leben gerettet hatte, bleibt aber auch Christoph Gann nichts anderes übrig, als die Fragen zu wiederholen. Warum wurde Wallenberg verhaftet? Was geschah in Moskau? Worüber wurde er verhört? Warum wurde er nicht freigelassen? In welchem Gefängnis, in welchem Lager wurde er festgehalten? Warum hat die Sowjetunion, warum hat Russland, warum hat aber auch Schweden nie richtig zur Aufklärung beigetragen? (...)

Weil keine dieser Fragen eine befriedigende Antwort fand, tauchte jüngst eine neue auf: Warum war Wallenberg eigentlich nach Budapest gefahren? Wollte er wirklich "nur" versuchen, "so viele Menschenleben zu retten, wie es möglich ist", wie er kurz vor seiner Abreise in Stockholm sagte? Ein amerikanisches und ein Hamburger Magazin warteten 1996 nach der Veröffentlichung von CIA-Dokumenten mit der Neuigkeit auf, dass Wallenbergs Budapester Mission nur ein Tarnmanöver sei. Er habe zwar als Legationsrat der schwedischen Botschaft tatsächlich Juden gerettet, aber eigentlich sei er ein amerikanischer Spion gewesen. (...) Eine dünne Geschichte, aber eine dicke Sensation.

Gann kann im ersten Teil seines Buches, in dem er sich an die Fersen Wallenbergs in Budapest heftet, leicht zeigen, dass an der Enthüllung nichts war. Er verkneift sich die Bemerkung, dass die Spionage-Theorie in einer Serie erstaunlicher Versuche steht, den Verantwortlichen in Moskau ihre Aufgabe abzunehmen, das Verschwinden Wallenbergs zu erklären. Im zweiten Teil des Buches, das den Spuren des verschwundenen Wallenberg folgt, erfährt man dann, dass die Erfinder dieser Methode ausgerechnet in Stockholm sitzen. Es waren zuerst das Außenministerium Schwedens und der schwedische Botschafter in Moskau, die dem Kreml die Gründe dafür einflüsterten, warum Wallenberg das Opfer von Kriegswirren gewesen sein könne (...)

Wallenbergs Wirken in Budapest ist legendär. Gann schenkt ihm breiten Raum und erzählt, wie es Wallenberg gelang, durch die Verteilung von Schutzpässen etwa 15 000 Juden das Leben zu retten. (...)"

 

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Das Parlament, Ursula Homann, 15.10.1999

"Jeder Tag kostete Menschenleben

Hilfe für Budapester Juden – Erinnerung an Raoul Wallenberg

(...) Der thüringische Richter Christoph Gann, Jahrgang 1970 – er ist auch der Initiator einer Wanderausstellung über Raoul Wallenberg und die Rettung der Budapester Juden, - hat anhand zahlreicher neuer Quellen, detailliert und fast penibel, Wallenbergs Umwege und Schleichwege rekonstruiert, die für die Hilfsaktionen nötig waren. Er erzählt, wie diese im einzelnen abliefen, geht auf die politischen Ereignisse und ihre Hintergründe in Budapest ein und schildert, wie Wallenberg mit der Ausstellung von Schutzpässen und der Einrichtung von Schutzhäusern ungarische Juden dem Zugriff der SS und der Pfeilkreuzler, den ungarischen Faschisten, entzog. (...) Aus Schweden, wo sogar die jüdischen Gemeinden nur wenig Interesse bekundeten, Juden bei sich aufzunehmen, erreichte Wallenberg die Nachricht eines Freundes: "Dankbarkeit für Deine Arbeit wirst Du hier wahrscheinlich nicht finden." (...) Der Autor listet alle Bemühungen und Recherchen auf, die der Aufklärung des Schicksals von Wallenberg gegolten haben, und geht auch einzelnen Gerüchten nach. (...) Doch trotz mannigfaltiger staatlicher und privater Initiativen blieb sein Verschwinden bis heute unaufgeklärt. (...) Der mit Registern und Bibliographie ausgestattete Band ist sachlich und zurückhaltend abgefaßt: Die Lektüre bestürzt und stimmt nachdenklich darüber, daß ein Mann in unmenschlicher Zeit so viel Mut, Opferbereitschaft und Einsatzfreude für gefährdete Menschen gezeigt hat."

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Die  politische Meinung, Giselher Schmidt, Dezember 1999

"Er zählt zu den großen Philanthropen des 20. Jahrhunderts. Von Juli 1944 bis Januar 1945 bewahrte Raoul Wallenberg etwa 100000Juden vor dem sicheren Tod. (...) Es ist Christoph Gann, Jahrgang 1970, im Hauptberuf Richter am Landgericht Meiningen, dafür zu danken, daß er erneut die Persönlichkeit und die humanitären Aktionen Raoul Wallenbergs würdigt. Bereits 1994 initiierte und gestaltete Gann die in zahlreichen deutschen Städten gezeigte Wanderausstellung "Lichter in der Finsternis. Raoul Wallenberg und die Rettung der Budapester Juden 1944/45". Nun hat er eine höchstinformative und höchst lesenswerte Publikation vorgelegt, die einen großen Leserkreis finden sollte. Insbesondere wird deutlich, daß Wallenberg trotz seiner diplomatischen Immunität ständig in Lebensgefahr schwebte und wiederholt mit Morddrohungen von SS-Führer Adolf Eichmann konfrontiert war. Allerdings blieb es der sowjetischen Siegermacht vorbehalten, den Angehörigen einer Gesandtschaft, die sich auch um sowjetische Kriegsgefangene wie um verfolgte Kommunisten gekümmert hatte, unter Mißachtung aller diplomatischen Regeln zu verschleppen und zu inhaftieren. Der Verfasser erwähnt erfreuliche Zeichen der Solidarität — wie beispielsweise ein Schreiben von Albert Einstein, der Stalin nachdrücklich bat, Wallenberg frei- und in seine Heimat zurückkehren zu lassen. Respekt verdient vor allem die schwedische Medizinprofessorin Nanna Svartz, die sich in den frühen sechziger Jahren während internationaler Mediziner-Kongresse in Moskau intensiv für Wallenberg einsetzte und Anhaltspunkte für sein Überleben fand. Der Verfasser nennt auch schwere Versäumnisse der schwedischen Regierungen im Fall Wallenberg. Überzeugend widerlegt Christoph Gann Versuche —auch von westlichen Periodika —‚ Wallenberg als Spion oder Agenten zu denunzieren. Ebenso bekräftigt der Verfasser seine Überzeugung, daß Wallenberg —im Gegensatz zu früheren sowjetischen Angaben —nicht 1947 verstorben ist. Gann will sogar "nicht ausschließen, daß Wallenberg noch am Leben ist" — und dies, obwohl er auch "die Übergabe persönlicher Gegenstände aus Wallenbergs Besitz"— wie etwa des Diplomatenpasses oder der Häftlingskarte — an Familienangehörige im Oktober 1989 erwähnt. (...) in Berlin und Leverkusen wurden Straßen, in Dorsten und in Berlin Weißensee auch Schulen nach Wallenberg benannt. Doch es mußte irritieren, daß das damals noch existierende Bundesministerium für Post und Telekommunikation sich 1995 der Anregung von Ignatz Bubis verschloß, eine Wallenberg Briefmarke herauszubringen. So besteht in Deutschland noch ein Nachholbedarf in der Würdigung Wallenbergs. Einen wertvollen Beitrag dazu hat ganz gewiß Christoph Gann mit seinem vorliegenden Buch geleistet."

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Süddeutsche Zeitung, Elke Schubert, 17.11.1999

"Der lange Marsch

Das Buch zur Suche: Christoph Gann spürt dem verschwunden Menschenretter Wallenberg nach

Um den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg ranken sich zahlreiche Gerüchte. In den sechs Monaten seines Aufenthaltes in Budapest rettete er Tausende ungarischer Juden vor den Nazi-Schergen. Sein geheimnisvolles Verschwinden kurz nach der Einnahme Budapests durch die Rote Armee und die Vermutung, er werde in sowjetischen Lagern oder Gefängnissen festgehalten, haben zu abenteuerlichen Spekulationen geführt. Einige sind sogar davon überzeugt, dass Wallenberg noch lebt.

Der Jurist Christoph Gann hat eine Ausstellung über Wallenberg initiiert, die schon in einigen deutschen Städten zu sehen war. Nun hat er auch ein Buch über Wallenbergs Tätigkeit in Budapest und die Suche nach ihm vorgelegt. Dabei stand ihm neues Material aus sowjetischen Archiven zur Verfügung, ebenso Zeugenaussagen von ehemaligen Mitgefangenen.

Wie ein Untersuchungsrichter rollt Gann den "Fall" Wallenberg auf, berücksichtigt juristische Gesichtspunkte und überprüft die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen. (...)

Christoph Gann hat akribisch jeden noch so kleinen Hinweis verfolgt, und die Spurensuche liest sich spannender als der erste Teil. (...)

Die Nachfolger des Sowjetimperiums haben sich offiziell entschuldigt, über Gründe kann man laut Gann nur Vermutungen anstellen. Womöglich brächte die Wahrheit auch etliche europäische Staaten in Mißkredit. Raoul Wallenbergs Verschwinden wird wohl immer ein Geheimnis bleiben."

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Meininger Tageblatt, P. Schmidt-Raßmann, 16.09.1999

"Den Klauen der Mörder entreißen"

Meininger Autor legt richtungsweisendes Buch über Raoul Wallenberg vor

(...) Es ist erschreckend, wie wenig der Name des schwedischen Geschäftsmannes mit einem Diplomatenpass Raoul Wallenberg einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Dabei führte ihn sogar eine Ausgabe des Guiness-Buch der Rekorde. Man mag zu dieser Form einer Würdigung stehen wie man will, tatsächlich ist die Rettungsaktion Wallenbergs für ungarische Juden ein Beweis praktizierter Humanität und darf zu den außergewöhnlichen Heldentaten des Jahrhunderts gerechnet werden, erfährt man in dem Buch des Meiningers. Das macht das Erschrecken umso heftiger. Über Kriege, Vernichtung, Vertreibung, Greueltaten wird hierzulande permanent und bis in Details umfassend informiert, solch bewegender menschlicher Einsatz in unmenschlicher Zeit wie der von Raoul Wallenberg hat eine vergleichsweise geringe allgemeine Resonanz gefunden.

"Das Buch kann einen Beitrag dazu leisten, dass Wallenberg auch in Deutschland die verdiente öffentliche Würdigung findet", formuliert Christoph Gann, der Meininger Autor. Dabei bedient er sowohl Leser, die noch nie etwas von der Persönlichkeit Raoul Wallenbergs gehört haben, als er auch gleichzeitig erstmals eine umfassende Dokumentation zu dem Thema vorlegt, die wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird. So kommt der Leser auf seine Kosten, der seine Kenntnisse erweitern und vertiefen möchte. (...) Der Leser darf teilhaben an der Freude des Autors, ja, am Ehrgeiz, Neues zu Ehren Wallenbergs zu ermitteln und so manche bisher übernommene Information richtig zu stellen oder zu präzisieren. (...)"

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Lew Besymenski/Ulrich Völklein: "Die Wahrheit über Raoul Wallenberg", Steidl-Verlag, Göttingen 2000

G., Juni 2000, (Besprechung bisher unveröffentlicht)

Die Autoren beanspruchen, die Wahrheit über das Schicksal des schwedischen Diplomaten herausgefunden zu haben. Wallenberg sei im Juli 1947 in sowjetischer Gefangenschaft ermordet worden. Diese These, und mehr als eine solche ist es nicht, vermögen die Autoren jedoch in keiner Weise überzeugend zu begründen.

Das Wesentliche des Buches war von den Autoren bereits 1996 in Artikeln im STERN und SPIEGEL verwendet worden. Überzeugender sind die Behauptungen auch im Buch nicht geworden.

Hinweise, daß Wallenberg noch nach 1947 am Leben war, würdigen die Autoren nicht ernsthaft. Besymenskis Absolutheitsanspruch wird deutlich, als er die Frage überprüft, ob Wallenberg während seiner Rettungstätigkeit 1944 zwischenzeitlich nach Stockholm kam. Besymenski prüft einen möglichen Zeitraum z.B. unter Heranziehung eines Visums. Dabei irrt er sich jedoch in den Daten, wie jeder Leser anhand des im Anhang abgedruckten Passes leicht erkennen kann. Er beansprucht auch hier, allen Indizien nachgegangen zu sein. Dabei kennt er anscheinend nicht einmal die öffentliche Äußerung von Marcus Wallenberg zu diesem Thema. Bei der Überprüfung des möglichen Termins fällt zudem auf, daß Besymenski wohl auch die Konferenz in Wallenbergs Büro vom 22. November 1944 unbekannt ist.

Das Schicksal Wallenbergs nach 1947 bleibt weiterhin offen.

 

Bernt Schiller: Raoul Wallenberg. Das Ende einer Legende, Verlag Neues Leben, Berlin 1993

Informationen (Studienkreis: Deutscher Widerstand Frankfurt am Main) Nr. 37/38 (November 1993)

"Warum die Russen Raoul Wallenberg gefangennahmen

(...) Anfang des Jahres erschien das Buch von Bernt Schiller als Übersetzung aus dem Schwedischen. Es ist das 7. Buch in deutscher Sprache, welches sich mit Wallenberg beschäftigt. Als Warnung sei zuvor gesagt, daß der Titel verwirrend und falsch ist. Das Buch ist keine Biographie und es enthält keine Fakten, die eine angebliche Legende beenden. Aus dem Originaltitel geht die Zielrichtung des Buches klar hervor, es geht allein darum, weshalb Wallenberg von der Sowjetunion gefangengenommen wurde.

Bernt Schiller beklagt sich zunächst aber über andere Bücher, welche Wallenberg zum Helden gemacht hätten, sich "auf die Person konzentriert, aber die Umgebung ausgeblendet" hätten. Wenig später scheint sich Schiller selbst zu widersprechen. Er beklagt sich, daß "für viele, die zu der großen Publizität um Raoul Wallenberg beigetragen haben, ... seine Person zu einer Nebensache geworden (ist)", der "Fall Wallenberg" würde bei ihnen im Vordergrund stehen. Bei Schiller steht nun weder die Person – noch der Fall Wallenberg im Mittelpunkt, beides wird zur Nebensache. Dies führt leider dazu, daß nur in wenigen Zeilen auf die Person und die Rettungstätigkeit von Wallenberg eingegangen wird.

Schiller stellt ausführlichst die Aktionen des jüdischen Rettungskomitees Vaada und da mißglückte Tauschgeschäft "Lastwagen gegen Juden" mit der SS dar. Man glaubt manchmal, ein Buch über die Vaada vorliegen zu haben. Ferner werden die Bemühungen Himmlers nach einem Separatfrieden ohne Rußland und die Verbindungen eines Onkels von Wallenberg zum deutschen Widerstand ausführlich und leider auch oft wiederholend behandelt. Auf die anderen in Budapest helfenden Diplomaten wird jedoch nicht näher eingegangen, sofern sie überhaupt erwähnt werden. (...)

Den Hinweisen, daß Wallenberg nach 1947 – oder auch heute noch – am Leben sein könnte, geht Schiller nicht nach. Schiller akzeptiert die Echtheit der Todeserklärung, alles andere gehöre dann zur Legende. Leider fehlt ein Sach- und Personenindex, zumal die Kapiteleinteilung und Beschriftung etwas unglücklich ist. (...) Fraglich bleibt die Notwendigkeit des Buches. Wer etwas über die Rettungstätigkeit von Wallenberg erfahren will, wird auf andere Bücher zurückgreifen müssen. Und über die Vaada ist auch schon Literatur vorhanden.

 

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Theo Tschuy: Carl Lutz und die Juden von Budapest. (Vorwort von Simon Wiesenthal), NZZ-Verlag, Zürich 1995

Informationen (Studienkreis: Deutscher Widerstand, Frankfurt am Main) Nr. 43 (Mai 1996)

Carl Lutz - ein Schweizer Diplomat der half Carl Lutz und Raoul Wallenberg. Zwei Personen, deren Leben auffallende Gemeinsamkeiten aufweisen. Beide setzen sich für die verfolgten ungarischen Juden ein. Lutz war Schweizer Vizekonsul, Wallenberg schwedischer Diplomat. Sie trugen beide maßgeblich dazu bei, daß in Budapest mehr Juden als im übrigen Europa die Zeit des Nationalsozialismus überleben konnten. Beide stammten aus neutralen Ländern, lebten eine gewisse Zeit in den USA und kamen bei einem Aufenthalt in Palästina in Kontakt zu Juden, die aus Deutschland ausgewandert waren.

Aber erst in Budapest lernten sie sich kennen. Lutz konnte den später eintreffenden Wallenberg

über seine bisherigen Erfahrungen berichten. Zunächst half Lutz Juden bei deren Auswanderung nach Palästina. Als Leiter der "Abteilung Fremder Interessen" gehörte dieses zu seinem Aufgabengebiet. Zu den vielen Ländern, welche die Schweizer Gesandtschaft in Budapest vertrat, gehörte auch Großbritannien. Die Palästinazertifikate wurden Grundlage von Lutz` Rettungstätigkeit. Er konnte erreichen, daß die ungarische und die deutsche Regierung einer bestimmten Anzahl von Juden die Auswanderung genehmigte. Doch nur auf dem Papier. Nachdem das Staatsoberhaupt Ungarns im Oktober durch Pfeilkreuzler gestürzt wurde, verstärkte Lutz seine Hilfe. Es war ihm möglich, Tausende Juden unter seinem Schutz zu stellen.

Hatte Wallenberg bereits seit August Schutzpässe an Juden vergeben, wurden nun auch von Lutz Schutzpapiere an Einzelpersonen ausgegeben. Schweizer, schwedische und andere Schutzhäuser bildeten einen Zufluchtsort, wobei auch dieser nicht immer von blutigen Übergriffen verschont blieb. Da viele gefälschte Schutzpapiere im Umlauf waren, mußte Lutz zeitweise die Papiere kontrollieren.

Nach dem Krieg wurde Lutz vorgeworfen, er habe durch die Ausstellung von Schutzpapieren seine Kompetenzen überschritten. Schon zuvor fühlte er sich zurückversetzt, wartete lange Zeit vergebens auf eine Beförderung. Schlimmer erging es freilich Wallenberg, der von den Sowjets gefangengenommen wurde. Sein wirkliches Schicksal, nach seinem angeblichen Tod in einem Moskauer Gefängnis, blieb bis heute ungeklärt. In der Würdigung finden sich wieder Gemeinsamkeiten. Wenn Lutz auch etwas im Schatten von Wallenberg steht, erinnern an beide heute in Budapest Denkmäler.

Tschuy hat eine gelungene Biographie zu Lutz vorgelegt. Der Autor beschränkt sich nicht allein auf die Hilfstätigkeit in Budapest, sondern stellt auch die Aufenthalte von Lutz in Amerika und Palästina umfassend dar.

 

 

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Enrico Deaglio: Die Banalität des Guten. Die Geschichte des Hochstaplers Giorgio Perlasca, der 5200 Juden das Leben rettete, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1994

Informationen (Studienkreis Deutscher Widerstand, Frankfurt am Main) Nr. 40 (Dezember 1994)

Giorgio Perlasca

"Vor 50 Jahren setzten verschiedene Personen in Budapest ihr Leben zur Rettung der bedrohten Juden Ungarns ein. Bis zum 9. Juli 1944 waren nahezu alle Juden, mit Ausnahme derer in Budapest, bereits nach Auschwitz deportiert worden. In Budapest bemühten sich nun verschiedene Vertreter von neutralen Staaten, dem Roten Kreuz sowie der päpstliche Nuntius durch Ausstellung von Schutzpapieren, Taufscheinen und die Unterbringung in Gesandtschaftsgebäuden, den bedrohten Juden zu helfen.

Diese Tätigkeiten sind hauptsächlich auf den Einsatz von einzelnen Personen zurückzuführen. Die bedeutendste Person, die eigens zur Rettung der verfolgten Juden nach Budapest kam, war der Schwede Raoul Wallenberg. Über ihn sind zahlreiche Bücher erschienen. Ebenso ist das Wirken des Schweizer Konsuls Carl Lutz und die Tätigkeit des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes dokumentiert.

Mit der Übersetzung des Buches von Enrico Deaglio liegt nun auch eine Darstellung der Tätigkeit des Italieners Giorgio Perlasca in deutscher Sprache vor. Perlasca ernannte sich im Dezember 1944 selbst zum Vertreter Spaniens, nachdem der bisherige Botschafter Budapest verlassen hatte. (...) In dem Buch erinnern sich Personen an Perlasca, die ihm ihr Leben verdanken. (...) Das Buch enthält auch Perlascas Tagebuch vom 2. Dezember 1944 bis zum 13. Januar 1945, der letzten Phase vor der Befreiung.

Leider wurde die Gelegenheit nicht genutzt, Fehler der italienischen Ausgabe zu berichtigen. So wurden falsche Jahreszahlen und falsch geschriebene Personennamen beibehalten. Unverständlich ist auch, warum Perlascas Version, Raoul Wallenberg sei wahrscheinlich im Januar 1945 in Budapest erschossen worden, wiedergegeben wird, wenn Deaglio selbst darauf hinweist, daß Wallenberg nach Moskau gebracht wurde. Auch Deaglios Bemerkung, die Verfolgung der ungarischen Juden sei wenig erforscht, kann nicht zugestimmt werden, liegen doch allein von Jenö Levai und Randolph L. Braham mehrere umfangreiche Dokumentationen vor.

Mit Deaglios Buch wurde in Perlasca eine weitere Person, die in Budapest erfolgreich zur Rettung der Juden beitrug, aus der Vergessenheit herausgerissen. Kurz bevor Perlasca starb, erhielt er von Kindern aus einer Grundschule eine Tafel geschenkt, die folgende Inschrift trug: "Für den Mann, dem wir ähnlich sein möchten."

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